Veranstaltung: | Sitzung LAG Bildung 16.12. |
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Antragsteller*in: | Anne Albers, Manuel Honisch, Vito Dabisich (LAG Bildung) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 10.12.2020, 11:18 |
A3: Vorschlag für einen Beschluss der LAG Bildung zum Bericht der Qualitätskommission zur Schulqualität in Berlin und den „Empfehlungen zur Steigerung der Qualität von Bildung und Unterricht“.
Antragstext
- Eine Gesamtstrategie für die Schulsteuerung in Berlin
Die Expert*innenkommission hat eine Reihe von spannenden Empfehlungen für die
Weiterentwicklung der Steuerung der Berliner Schulen gemacht. Die zentrale
Erkenntnis des Berichts ist die derzeit unzureichende Koordination der
Unterstützungs- und Steuerungsmaßnahmen. Obwohl wir allen Beteiligten die besten
Intentionen unterstellen, müssen wir einsehen, dass wir die Strategie ändern
müssen. Ebenso wie die Kommission sehen wir die Notwendigkeit, die einzelnen
Maßnahmen stärker miteinander zu verzahnen, die verschiedenen Rollen zu klären
und Ressourcen effektiver einzusetzen. Dies gilt nicht nur für den Bereich der
Maßnahmen zur Verbesserung der Mathematik- und Sprachkompetenzen, auf die sich
der Bericht bezieht, sondern ist aus unserer Sicht symptomatisch für die Arbeit
der Schulverwaltung. Wir brauchen eine Steuerung und Unterstützung von Schule
aus einem Guss, nicht verschiedenste Einzelprogramme. Insofern unterstützen wir
die Schaffung einer auf dem Schulgesetz basierenden „Gesamtstrategie“ in der
Senatsverwaltung.
Die Expert*innenkommission hatte den Auftrag, sich auf die Verbesserung der
mathematischen und sprachlichen Kompetenzen zu konzentrieren. Es liegt
entsprechend in der Natur der Kommission, dass sie einen „Fokus auf die
Sicherung sprachlicher und mathematischer Kompetenzen“ empfiehlt. Tatsächlich
sind Lesen, Schreiben und Rechnen die Grundlage für alle anderen schulischen
Lernbereiche. Aber darin erschöpft sich der schulische Bildungsauftrag nicht,
wie auch die Expert*innen zugeben. Deswegen wird es in dem begleitend
eingesetzten Qualitäts-Beirat auch darauf ankommen, den Blick auf
Bildungsqualität nicht ausschließlich auf den Deutsch- und den
Mathematikunterricht und auf vermeintlich messbaren „Output“ zu verengen. Die
kostspieligen Dateninstrumente noch weiter auszubauen, kann nicht die Lösung
sein. Schule muss in ihrer Ganzheit betrachtet werden, das beinhaltet auch den
Ganztag sowie die Einbettung der Schule in den Sozialraum. Eine einseitige
Fokussierung auf Daten der mathematischen und sprachlichen Kompetenzen wird dem
schulgesetzlichen Bildungsauftrag der Schule nicht gerecht. Für uns ist deshalb
klar, dass die „Gesamtstrategie“ auf Grundlage des Schulgesetzes zu erarbeiten
ist. Diese Strategie muss deutlich machen, wie die im Schulgesetz
festgeschriebenen Ziele an allen Schulen erreicht werden können.
Gute Bildung ist eine der wichtigsten Grundlagen für gute Entwicklungschancen im
Leben und trägt maßgeblich dazu bei, dass Menschen in der modernen Arbeitswelt
ihren Platz finden. Gute Bildung ist inklusiv und befähigt die heranwachsende
Generation, selbstständig die Welt zu entdecken und verstehen zu lernen,
Verantwortung für das eigene Leben und die Gemeinschaft zu übernehmen und dabei
mit Empathie und Rücksicht seinen Mitmenschen und der Natur zu begegnen. Ein
inklusives, auf die ökologischen Herausforderungen der Zukunft ausgerichtetes
Bildungssystem, dass alle Schüler*innen Berlins, egal aus welchem Elternhaus,
mitnimmt, ist zentral für die Zukunft. Dies entspricht ganz dem Geiste unseres
auf der LDK 2018 beschlossenen Bildungsantrages: „Deshalb muss Schule zwei Dinge
leisten: Zum einen soll sie allen Schüler*innen durch qualitativ hochwertigen
Unterricht, moderne und sich entwickelnde Pädagogik und gute Ganztagskonzepte
die nötigen Kenntnisse mitgeben und Kompetenzen ausbauen. Zum anderen soll sie
als Abbild und Teil unserer Gesellschaft allen Kindern, unabhängig von der
familiären Migrationsgeschichte oder des sozio-ökonomischen Hintergrundes,
barrierefreie, echte Bildungschancen bieten und sie so zu mündigen Bürger*innen
mit einem Höchstmaß an Urteilskraft heranwachsen lassen, die aktiv und inklusiv
unsere Demokratie und Gesellschaft mitgestalten.“
- Die einzelnen Schulen unterstützen, ohne Konkurrenz zu fördern
Wir unterstützen das Ansinnen der Kommission, die vorhandenen Daten zu nutzen,
um Unterstützungsbedarfe an Schulen festzustellen. Gerade jene Schulen, an denen
viele Kinder Schwierigkeiten haben, sollten von Schulaufsicht und dem
Beratungssystem unterstützt werden. In dem Sinne halten wir es für sinnvoll, das
„Gießkannenprinzip“ abzuschaffen.
Im Bericht wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass es eine große
Segregation zwischen den Berliner Schulen gibt – während an manchen Schulen alle
Schüler*innen auf der höchsten Kompetenzstufe sind, sind an anderen Schulen 90 %
der Schüler*innen auf der untersten Kompetenzstufe. Für diese besonders
herausgeforderten Schulen brauchen wir besondere Unterstützung. Wir schlagen
vor, dass die zuständigen bezirklichen Schulrät*innen für die zusätzliche
Unterstützung Stundenkontingente zur Verfügung gestellt bekommen. Die
zuständigen Schulrät*innen sind am besten dazu in der Lage, diese
Stundenkontingente auf Grundlage ihrer langjährigen Expertise und dem Zugriff
auf Übersichtsdaten sinnvoll zu verteilen.
Wir möchten vermeiden, dass Schulen sich auf nichtintentionale Weise an
einzelnen Indikatoren ausrichten. Verschiedene Studien haben diese
nichtintendierten Effekte bereits aufgezeigt (siehe bspw. Bellmann et al. 2016).
Es ist keiner Schülerin geholfen, wenn zwar die Ergebnisse in den Leistungstests
besser werden, dies aber nicht mit einem tatsächlichen verbesserten
mathematischen Verständnis einhergeht. Wir halten es deshalb nicht für sinnvoll,
Ressourcen auf Grundlage von Indikatoren automatisiert zu verteilen oder
Schulverträge mit Sanktionen zu versehen, da dies solch adverses Verhalten der
Schulen fördern könnte. Die Bewertung von Qualität einer Schule muss stets auf
einer Vielzahl von Themen beruhen.
Dazu gehört aber auch, die Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die Schulen
erfolgreiches Arbeiten ermöglichen. Schulleitungen und Pädagog*innen sind
vielfach überlastet und manchmal am Rande ihrer Kräfte. Sie müssen daher in
ihrer Arbeit wirksamer unterstützt werden. Viele Pädagog*innen werden ihren
Unterricht hinterfragen, reflektieren und müssen sich für neue Herangehensweisen
öffnen. Aber die Akzeptanz der Maßnahmen zur Qualitätssteigerung hängt davon ab,
dass diese nicht als „weitere Zusatzbelastung“ erlebt werden. Für Fortbildungen
und die Implementierung neuer Konzepte braucht es Zeit und die Möglichkeit der
Akteur*innen vor Ort, die Entwicklungsvorschläge mitbestimmen und umsetzen zu
können. Sie dürfen nicht als zusätzliche Belastung zum Tagesgeschäft
hinzukommen. Daher müssen multiprofessionelle Teams gemeinsame Zeit für ihre
Professionalisierung sowie die Planung ihrer pädagogischen Arbeit erhalten z.B.
an Studientagen. In überfüllten Klassen lassen sich Qualitätsverbesserungen
schwerer realisieren als in kleinen Lerngruppen, und der Fachkräftemangel an
Schulen erschwert dies noch weiter.
Alle an Schule Beteiligten – seien es Schulleitungen, Pädagog*innen, sonstige
Mitarbeiter*innen, Schüler*innen oder Eltern – möchten eine gute Schule. Dieses
Potenzial müssen wir heben, anstatt die engagierten Menschen mit numerischen
Vorgaben vor den Kopf zu stoßen. Schulen müssen darin unterstützt werden, ihre
Schule weiterzuentwickeln. Nötig ist dafür, wie von der Kommission
vorgeschlagen, eine Koordination der bestehenden Unterstützungsstrukturen.
Begleitung und Beratung reicht nicht aus. Der Fokus der Schulentwicklung sollte
schulintern sein und nicht zu Konkurrenz zwischen Schulen führen. Deshalb
stellen wir Ressourcen für die interne Schulentwicklung zur Verfügung. In diesem
Sinne halten wir die Veröffentlichung von Schulinspektionsberichten für
kontraproduktiv. Die Expert*innenkommission empfiehlt die Weiterentwicklung der
Schulinspektion in eine anlassbezogene externe Evaluation. Aufgrund der
gemischten Erfolgsbilanz der Schulinspektion halten wir es für sinnvoll, die
Inspektion aller Schulen alle fünf Jahre auch vor dem Hintergrund eines
effektiven Ressourceneinsatzes zu überdenken. Für uns wäre dies eine
Gelegenheit, die Schulinspektion in ein Angebot für die partizipative
Schulentwicklung umgestalten. Im Zentrum sollten hierbei Ziele stehen, die von
allen schulischen Akteur*innen und der Schulaufsicht gemeinsam festgelegt
wurden. Denn wir glauben, dass die Probleme von Schule am besten vor Ort gelöst
werden können. Dabei möchten wir sie unterstützen.
- Strukturelle Fragen nicht ausblenden
Allein der Fokus auf die Einzelschule und die Förderung besonders
benachteiligter Schulen wird jedoch nicht den gewünschten Erfolg bringen. Wie
bereits angesprochen, hat Berlin ein Problem der Segregation, gut
zusammengefasst in der Berlin-Studie: „Auch nach der Schulstrukturreform
existieren noch einige Schulen, die gehäuft von Schülerinnen und Schüler mit
ungünstigen Lernvoraussetzungen und weniger lernförderlichen
Hintergrundmerkmalen besucht werden. Dabei handelt es sich oft um besonders
schwach nachgefragte Schulen ohne eigene gymnasiale Oberstufe. An diesen Schulen
besteht die Gefahr, dass kritische Lern- und Entwicklungsmilieus entstehen.“ Die
Existenz der starken Segregation zwischen Schulen ist leider nicht allein mit
einer Förderung der Schulen mit „kritischen Lern- und Entwicklungsmilieus“ in
den Griff zu bekommen. Das Beispiel der Hauptschulen zeigt, dass allein eine
stärkere Unterstützung keine Lösung sein kann.
Wir müssen deshalb auch strukturelle Fragen in Angriff nehmen, wollen wir das
Problem geringer Sprach- und Mathematikkompetenzen ernsthaft bearbeiten. Der
Vorschlag der Kommission, die MSA-Prüfungen an Gymnasien freiwillig zu stellen,
geht daher genau in die falsche Richtung. Die Aufgabe des MSA ist mitnichten
eine diagnostische, sondern er ist ein Zeichen für die Gleichwertigkeit von
Integrierten Sekundarschulen, Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. Diese
Gleichwertigkeit der Schulformen gilt es zu stärken, nicht zu schwächen. Der
Qualitäts-Beirat muss sich intensiv damit beschäftigen, wie unser sozial
segregiertes Schulsystem inklusiver gestaltet werden kann. Dabei geht es auch
darum, die Gemeinschaftsschulen weiter zu stärken, im Interesse gleicher
Bildungschancen für alle Berliner Schüler*innen. Hierzu gehört auch eine
Neujustierung des Verständnisses von Schulaufsicht. Sämtliches Handeln der
Schulaufsicht muss darauf ausgerichtet sein, Schulen bei der Erreichung ihrer
gemeinsam mit der Schulaufsicht gesteckten Ziele zu unterstützen und dafür zu
sorgen, dass die vereinbarten Maßnahmen hierauf ausgerichtet werden und dass die
dafür notwendigen Ressourcen gesichert sind.
- Gemeinsam für eine bessere Steuerung der Schulen Berlins
Der Bericht der Expert*innenkommission ist ein guter Anlass, die Steuerung des
Berliner Schulsystems zu überdenken, über liebgewonnene Institutionen wie die
Schulinspektion einmal kritisch nachzudenken und zu fragen, wo unser Schulsystem
hinsteuern soll. Für uns ist klar: Die Grundlage sind der Bildungsauftrag und
die Bildungs- und Erziehungsziele des Schulgesetzes. Dies beinhaltet auch
sprachliche und mathematische Grundfähigkeiten. Ob wir diese Ziele erreichen,
wird davon abhängen, ob wir es schaffen, eine Aufbruchstimmung in der Berliner
Schullandschaft zu erzeugen. Dafür müssen wir alle Schüler*innen, Eltern,
Pädagog*innen, Schulleiter*innen, aber auch die Schulaufsicht, Schulverwaltung
und Personalvertretungen mitnehmen. Entsprechend ist es für uns essenziell, dass
die Perspektiven dieser Gruppen auch im Qualitäts-Beirat gehört werden. Hier
müssen offene Diskussionen unter Einbezug aller an Schule Beteiligten geführt
werden, denn eine Gesamtstrategie kann nur unter Einbezug aller Erfolg haben.